Alban Stolz 1808 - 1883
Bethlehem
Der erste Anblick eines Ortes wie Bethlehem macht einen seltsamen Eindruck auf
die Seele; es ist, wie wenn plötzlich das Bild, welches schon in der
Kindheit der Seele vorgestellt und eingeprägt wurde, aus der innerlichen
Vorstellung herausträte und nun zu einer alten Heimat, ja wie ein
materiell, Stein gewordener Teil der eigenen Seele; und sie fliegt mit dem
Blick grüßend schon von ferne dem mehr nach Bethlehem als nach
Jerusalem, weil das neugeborne Jesuskind der Verwandtschaft wegen dem Kinde
interessanter uns süßer ist als der sterbende Schmerzensmann auf
Golgatha.
Bethlehem lag vor uns auf einer Anhöhe, die Gegend ist viel besser
angebaut, besonders mit Ölbäumen, als wir es in Palästina bisher
gesehen hatten. Es war schon Abend, als wir in die Stadt einritten. Eine
große Zahl der Einwohner saß und stand feiertäglich gekleidet
umher, denn Bethlehem ist in einer Weise vorherrschend katholisch, wie wohl
keine Stadt im Orient. Weil es gerade Ostern war, hatten sie ihre beste,
farbenreiche Kleidung an; die Tracht der langen, weiten Gewänder ist sehr
malerisch. Noch viel schöner aber war die ungemeine Freundlichkeit, mit
welcher uns die Leute empfingen. Große und Kleine grüßten uns
teils, teils zeigten sie in sanftem, heiterem Lächeln ihre Freude, dass so
viele Christen aus dem Abendlande hierher kommen. Besonders viel mir die
Schönheit der Leute auf; sie ist ausgezeichneter und allgemeiner, als ich
sie in irgendeinem Ort von Palästina sah. Juden dürfen keine in
Bethlehem wohnen, gewiss nicht ohne Fügung Gottes, sowie auch in Nazareth
nicht. Der Jude hat auch in beiden Orten nichts zu suchen, was für sein
religiöses Andenken von großem Wert wäre. Es muss aber dem
christlichen Bethlehemiten ein eigentümliches Gefühl geweckt werden
durch das Bewusstsein, der leiblichen Abstammung nach denselben Geburtsort mit
dem Heiland der Welt zu haben, ein Landsmann von ihm zu sein; auch in dieser
Beziehung war mir der Anblick dieser schönen, freundlichen Bewohner von
Bethlehem interessant. Bethlehem muss selbst dem Menschensohn in seiner
Verherrlichung eine liebreiche Erinnerung von der Erde sein. Dort kamen die
Hirten und Weisen, ihm als Kind zu huldigen; die Bewohner von Bethlehem haben
nicht wie die von Nazareth und Jerusalem ihn verfolgt; ja die Kinder von
Bethlehem waren seinetwegen die ersten Märtyrer. Darum mag über
diesem Ort jetzt noch immer ein freundlicher Segen des Herrn ruhen.
Bevor wir im Kloster einkehrten, wollten wir vorerst den Ort besuchen, wo die
Engel ihnen die frohe Botschaft verkündigte. Man steigt etwa 20 Treppen
hinab. Ich zweifle nicht, dass dieses der richtige Ort war; denn seit jener
Zeit sind gewiss die Christusgläubigen bis auf den heutigen Tag in
Bethlehem nicht mehr ausgegangen, weshalb auch die Wissenschaft des Ortes nicht
ausgehen konnte, den die Hirten ihren Nachkommen zeigten, dass dort die
himmlische Erscheinung zu ihnen gekommen und geredet habe. Später war von
der Kaiserin Helena eine Kirche über dieser Höhle erbaut; die
Höhle ist geblieben, die Kirche aber längst zerstört; nur
Steintrümmer und bis zum Boden abgebrochenes Gemäuer zeigen noch
ihren Ort. Ein alter Araber, den ich in seinem Turban für einen
Mohammedaner hielt, zündete Lichter an, zeigte uns die christliche Stelle
an, uns in lateinischer Sprache vorzubeten das Vaterunser, den Englischen
Gruß und den Glauben.
Es war schon tiefe Dämmerung geworden, als wir uns auf die Rückkehr
nach Bethlehem machten, schon leuchteten angezündete Lichter von der
Höhe herab; die Stadt sieht kellerartig aus, wie wenn sie aus lauter alten
Burgen bestünde. Eine milde, weiche Luft war über das Tal
ausgegossen, der reine Himmel funkelte mit seinen stillen Sternen herab, als
wollte er uns leise mahnen, auch still zu sein. Da sahen wir, wie wenn die
Christnacht aufs neue angebrochen wäre, neben unserem Weg Schafherden
lagern und Hirten, die dabei wachten. In Rührung und Freude fühlte es
die Seele, Gott zeige uns hier nicht nur den Ort, wo die heilige Nacht,
Weihnacht, erschienen ist, sondern wie ein Vater freundlich den Kindern ein
schönes Bild zeigt, so ließ uns Gott auch dort Hirten und Herden
sehen, ein Bild, wie es in jener Nacht hier ausgesehen hat.
Als ich noch ein Kind war, erzählte mir zur Weihnachtszeit gewöhnlich
ein so genanntes Krippelein die Geschichte des Festes auf anmutige Weise.
Alles, was nur eine Kinderphantasie zur hellen Flamme anfachen kann, war da zu
sehen: die Engelerscheinungen und der Stern in der Höhe; über den
kristallfunkelnden Felsen die Stadt Jerusalem mit ihren Toren, Türmen und
Zinnen; unten am Abhang weidende Schafherden; im Talgrund der Stall mit dem
Kinde, Maria und Joseph, den anbetenden Hirten und Weisen - und allerlei Volk,
Marktleute, selbst Jäger und Wild belebten die Wege, welche sich den Berg
hinaufschlängelten. Das war für die Kinderseele. Jetzt wollte mir der
gütige Gott in anderer Weise abermals eine Christnacht oder ein lebendiges
Andenken daran vorführen, wie es dem reiferen Manne noch mehr Freude
wecken musste als einst das Kripplein dem Kinde.
Wenn es sich hätte tun lassen, allein zurückzubleiben und die Nacht
in jenem Hirtental einsam betrachtend zuzubringen, dies hätte gewiss noch
viel mächtiger auf die Seele gewirkt als das Übernachten in der
heiligen Grabkirche. Denn so heilig daselbst auch die Stätte sind, so sind
sie eben doch alle gleichsam unsichtbar geworden durch Überbau und
Marmorverkleidung, während jenes Tal noch Wiese ist, und Herden und Hirten
dort weilen und Himmel mit seinen Sternen sich darüber wölbt wie vor
mehr denn 1900 Jahren, als die Engel ihren Lobgesang dort sangen.
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