Adalbert Stifter
Weihnachten
Unsere Kirche feiert verschiedene Feste, welche zum Herzen dringen. Man kann
sich kaum etwas Lieblicheres denken als Pfingsten und kaum etwas Ernsteres und
Heiligeres als Ostern. Das Traurige und Schwermütige der Karwoche und
darauf das feierliche des Sonntags begleiten und durch das Leben. Eines der
größten Feste feiert die Kirche fast mitten im Winter, wo die
längsten Nächte und die kürzesten Tage sind, wo die Sonne am
schiefsten gegen unsere Gefilde steht, und Schnee und Fluren deckt: das Fest
der Weihnacht. Wie in vielen Ländern der Tag vor dem Geburtsfeste des
Herrn Christabend heißt, so heißt er bei uns der heilige Abend, der
darauf folgende Tag der heilige Tag und die dazwischen liegende Nacht, die
Weihnacht. Die Katholische Kirche begeht den Christtag als den Tag der Geburt
des Heilands mit ihrer allergrößten kirchlichen Feier; in den
meisten Gegenden wird schon die Mitternachtsstunde als die Geburtsstunde des
Herrn mit prangender Nachtfeier geheiligt, zu der die Glocken durch die stille,
finstere, winterliche Mitternachtsluft laden, zu der die Bewohner mit Lichtern
oder auf dunkeln, wohlbekannten Pfaden aus schneeigen Bergen an bereiften
Wäldern vorbei und durch knarrende Obstgärten zu der Kirche eilen,
aus der die feierlichen Töne kommen, und die aus der Mitte des in beeiste
Bäume gehüllten Dorfe mit den langen, beleuchteten Fenstern
emporragt. Mit dem Kirchenfeste ist auch ein häusliches verbunden. Es hat
sich fast in allen christlichen Ländern verbreitet, dass man den Kindern
die Ankunft des Christkindleins - auch eines Kindes, des wunderbarsten, das je
auf der Welt war - als ein heiteres, glänzendes, feierliches Geschehen
zeigt, das durch das ganze Leben fortwirkt und manchmal noch spät im Alter
bei trüben, schwermütigen oder rührenden Erinnerungen gleichsam
als Rückblick in die einstige Zeit mit den bunten, schimmernden Fittichen
durch den öden, traurigen und ausgeleerten Nachthimmel fliegt. Man pflegt
den Kindern die Geschenke zu geben, die das heilige Christkindlein gebracht
hat, um ihnen Freude zu machen. Das tut man gewöhnlich am heiligen Abend,
wenn die tiefe Dämmerung eingetreten ist. Man zündet Lichter und
meistens sehr viele an, die oft mit den kleinen Kerzlein auf den schönen
grünen Ästen eines Tannen- oder Fichtenbäumchens schweben, das
mitten in der Stube steht. Die Kinder dürfen nicht eher kommen, als bis
das Zeichen gegeben wird, dass der heilige Christ zugegen gewesen ist und die
Geschenke, die er mitgebracht, hinterlassen hat. Dann geht die Tür auf,
die Kleinen dürfen hinein, und bei dem herrlichen, schimmernden
Lichterglanze sehen sie dinge an dem Baume hangen oder auf dem Tische
herumgebreitet, die alle Vorstellungen ihrer Einbildungskraft weit
übertreffen, die sie sich nicht anzurühren getrauen, und die sie
endlich, wenn sie dieselben bekommen haben, den ganzen Abend in ihren
Ärmchen herumtragen und mit sich in das Bett nehmen. Wenn sie dann
zuweilen in ihren Träumen hinein die Glocken töne der Mitternacht
hören, durch welche die Großen in die Kirche zur Andacht gerufen
werden, dann mag es ihnen sein, als zögen jetzt die Englein durch den
Himmel, oder als kehre der heilige Christ nach Hause, welcher nunmehr bei allen
Kindern gewesen ist und jedem von ihnen ein herrliches Geschenk gebracht hat.
Wenn dann der folgende Tag, der Christtag kommt, so ist er ihnen so feierlich,
wenn sie früh morgens, mit ihren schönsten Kleidern angetan, in der
warmen Stube stehen; wenn der Vater und die Mutter sich zum Kirchgang
schmücken, wenn zu Mittag ein feierliches Mahl ist, ein besseres als an
jedem Tage des ganzen Jahres, und wenn Nachmittags oder gegen den Abend hin
Freunde und Bekannte kommen, auf den Stühlen oder Bänken herumsitzen,
miteinander reden und behaglich durch die Fenster in die Wintergegend
hineinschauen können, wo entweder die langsamen Flocken niederfallen oder
ein trübender Nebel um die Berge steht oder die blutrote, kalte Sonne
hinabsinkt. An verschiedenen Stellen der Stube, entweder auf einem
Stühlchen oder auf der Bank oder auf dem Fensterbrettchen liegen die
zauberischen, nun aber schon bekannteren oder vertrauteren Geschenke von
gestern Abend herum.
Hierauf vergeht der lange Winter, es kommt der Frühling und der unendlich
dauernde Sommer - und wenn die Mutter wieder vom heiligen Christ erzählt,
dass nun bald sein Festtag sein wird, und dass er auch diesmal herabkommen
werde, ist es den Kindern, als sei seit seinem letzten Erscheinen eine ewige
Zeit vergangen, und als liege die damalige Freude in einer weiten, nebelgrauen
Ferne.
Weil dieses Fest so lange nach hält, weil sein Abglanz so hoch in das
Alter hinaufreicht, so stehen wir so gerne dabei, wenn Kinder dasselbe begehen
und sich darüber freuen.
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