Heinrich Lersch 1889 - 1936
Weihnachten im Maschinenhaus
Weihnachten, Neujahr, Dreikönige. Feste, Feste, Feste ohne Ende. Das war
für die Kesselschmiede keine schöne Zeit, damals vor zwanzig Jahren,
als ich noch Lehrling war. Zu den Feiertagen wurden die Fabriken stillgesetzt:
am Heiligabend wurden die großen Dampfkessel, die sonst das ganze Jahr
voll siedendem Wasser und gespanntem Dampf waren, abgeblasen. Damals hatte man
noch keine Reservekessel, es mussten auch die Maschinen hergeben, was sie
konnten. Aber von Weihnachten bis Dreikönige wurden sie gründlich
geputzt und repariert. Da mussten die Metallarbeiter, die Maurer,
überhaupt die Handwerker 'ran, vom Heiligabend bis Dreikönige. -
Zuerst wurden die Kessel untersucht; wir krochen, die Lampe hocherhoben in
einer Hand, die andre Hand mit einem nassen Lappen umwickelt, durch das erste
Flammenrohr, dann hinein in die Feuerzüge, leuchteten alle Nähte und
Nieten ab, die Knie hochgezogen, hockend rutschten wir in den kaum drei
Viertelmeter "großen" Flammenrohren und Feuerzügen herum.
Das war die erste Tour, die dauerte eine halbe Stunde, immerzu durch
fußhohen, glühheißen Ruß und Flugasche, in 50 bis 60
Grad Wärme. Ruß fiel herunter von den Rundungen der Kesselplatten in
den Nacken, in die Augen. Ruß atmete die Lunge, die Nase saß voll
Ruß. Wenn man dann hinaus kroch in den Kesselraum, was war es ein
Hochgenuss, konnte man sich mit einem Lappen Schweiß und Ruß aus
dem Gesicht und Nacken fegen, dann einen Schluck Wasser trinken und vor das Tor
gehen: Glockengeläute dröhnte von der Stadt her, Weihnachtsglocken,
am Abend vor dem Feste, dem Heiligabend! Sie sangen über die Dächer
der Stadt ihr Freudenlied. Einmal hielt ich's nicht aus: ich verließ
Kesselraum und Gesellen und stieg die eiserne Leiter hinauf, kletterte aufs
flache Dach des Heizraumes, stand hoch über den Gebäuden der Fabrik,
und umsungen vom Geläute sah ich hinein in die Stadt, in die fernen
Häuser, in deren Fenstern der Heilige Abend aus dem Kerzengeflimmer eines
Christbaums funkelte. Sah Gestalten sich bewegen, Väter, Mütter,
Söhne, Töchter, Kinder! Heiligabend! Heiligabend!
Im ersten Lehrjahre meines jungen Lebens, setzte ich den Stolz des Lehrjungen
gegen die Wehmut ein und fühlte nicht den Jammer, der sich vorbereitete.
Aber schon im zweiten Jahr, da putzte ich mit meinem dick mit Ruß
beschmierten Jackenärmel die rinnenden Tränen, da hatte ich schon
Freunde, die zusammengekommen waren am Heiligabend.
Was soll ich es verschweigen - im dritten Jahr hab' ich mir das
Schweißtuch ins Maul gestopft, um nicht aufbrüllen zu müssen:
Heiligabend und die Freundin, die Jugendfreundin, die Kinderliebe, Nachbarskind
- es brachte uns das Essen in die Fabrik, auch sie wollte Heiligabend nicht
mitfeiern, wenn ich unterm Kessel liegen sollte. Scheu und fremd, das liebe
Gesicht in ein Kopftuch gehüllt, saß sie neben mir auf der
Heizraumbank und wartete, bis ich mein Essen heruntergewürgt. -
Nicht einmal eine Hand konnte ich ihr geben, die Gesellen hätten mich
veräppelt die ganze Nacht. Und dann um Mitternacht, der Geselle hockte auf
der Bank, ich muckelte schläfrig, und meine phantastische Seele lebte im
Mysterium der heiligen Nacht: ich sah das Feld von Bethlehem, die Hirten, die
Weissagung klang, ich sah im Heizraum, schwärzer als der Mohrenkönig,
das ewige Licht, dachte mir aus: Wenn jetzt die Heilige Familie käme, hier
in diesem Kesselhaus fände sie noch Licht, hier läuteten die Glocken
unserer Hämmer: "Komm! Komm! Komm! Komm!" Und ich hätte das
Heizraumtor aufgemacht, hätte - nein, ich hätte die weichesten
Putzwollballen in den sauberen Maschinenraum geschleift, ein Lager bereitet,
auf der Feldschmiede Kaffee gekocht, unsere Nachtbutterbrote auf einen sauberen
Lappen gelegt, und ich sah den Glanz des ewigen Lichtes strahlen durch das
Maschinenhaus. Ich sah den Gesellen, den halbbesoffenen, gebändigt und von
heißer Glut ernüchtert, sah den Heizer kommen, voll Staunen, die
schwarzen Kesselputzer, wie wir rußbestaubt, ein Dutzend schmieriger
Gestalten, fernab der Stadt, einsam. Ach, wer sagt es, dass die anderen nicht
auch den Heiland erwarten, sie waren doch auch alle des erbärmlichen
Lebens satt und warteten auf den Erlöser. Einfältiger waren sie als
die Hirten, denn sie glaubten noch den Reden der Herren, die ihnen goldene
Berge versprachen, wenn sie selbst einmal - reich und mächtig - geworden.
Sie glaubten dem Menschenwort, weil Gotteswort zu überirdisch klang.
Was war das ein Gang zur Mette! Um drei Uhr Gesicht und Hände abgeseift,
immer noch schwarze Ringe um die Augen, frisches Hemd, Kragen des
Überziehers aufgeschlagen, den Ruß spürend in jeder Hautpore,
aus dem glühheißen Kessel in die morgenkalte Kirche. Wie
geschniegelt und gebügelt, wie eitel geckenhaft kamen uns dann die Herren
vor, Modepuppen, selbstgefällig ihre glatten Scheitel tragend, wie
schön die Frauen und Mädchen in ihren warmen Mänteln! Wir trugen
den Ruß, den Schmutz nicht nur in unserer Haut, nein, bis in das, was man
Seele nannte; wir fühlten in den Blicken der Neugierigen, die uns
müde Gestalten musterten: ihr stört ja die Andacht und die Stimmung
mit euren abgespannten Gesichtern! Das strahlende Licht vom glühenden
Stern über dem Altar schmerzte in den rußzerbissenen Augen.
Und die Orgel, die Orgeltöne! Sie rissen mir die Brust entzwei: Freut
euch, Menschen, die ihr wart verloren! Wie gern wäre ich niedergekniet,
aber, ich musste stehen bleiben, die Müdigkeit kam; hätte ich in
einer Bank gesessen, längst wäre ich eingeschlafen. So hielt ich mich
aufrecht, bis die erste stille Messe vorüber war und das Hochamt in der
Mette begann. Dann schob ich mich mit unsäglich bedrückter Seele
hinaus aus der Gemeinschaft der Christgläubigen, hinein in die kalte
Nacht, zurück in die Fabrik. Die junge, fromme Seele suchte nach einem
Trost, nach einer Stimme, die ihm verzieh, dass er nicht drei heilige Messen
mit Andacht hören konnte. Und fand den Trost erst, als ich wieder im
Kesselhaus angelangt war und - nun den hellen Schein im Maschinenhaus sah:
sollte doch das heilige Paar?
Nein! Aber die Heizer, Maschinisten und Kesselputzer saßen um die
Feldschmiede, deren Flammen hoch loderten, und erzählten Geschichten von
anderen Weihnachtsnächten. Der eine, ein alter Seemaschinist, von
Weihnachten unter Schwarzen und Wilden unter tropischer Sternenpracht, der
andere von der Wanderschaft, Weihnacht in Pennen und Herbergen, in
Gefängnis und Arbeitshaus. Und alle dankten es ihrem Schicksal, dass sie
nun in der Heimat waren und Geld, ein wenig mehr als an sonstigen Tagen,
verdienen konnten.
Bis der kleine Rasch von billigem Schnaps und krampfigem Vergessen erlosch und
die Arbeit, das brüllende Müssen, uns wieder in den Kessel trieb. Der
Hammer donnerte an den Nietköpfen, die Stemmer klinkten an den
Nähten, der Schweiß rann durch die rußigen Gesichter. Georg
Kriegesmann, der Nieter aus Bremen, sagte: "Lat se man feiern, Junge, lat
se man! Der Weg des Arbeiters ist der vom Stall zum Kreuz, - du bist jung und
voll Hoffnung. Wenn Jesus die Seele erlöst hat, wie sie so schön
sagen, so erlösen wir Arbeiter den Leib aus den Klauen des Satans! Vom
Stall zum Kreuz geht der Weg, mein Junge, dat is wohl immer so gewesen. Aber,
wir Arbeiter schenken der ganzen Welt den Frieden!"
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