Theodor Meyer-Merian 1818 - 1867
Frau Ursulas Bescherung
Es war ein altmodischer Winter, draußen auf Weg und Steg, Feldern und
Bergen alles verschneit bis auf die schwarzen Tannen, von denen der scharfe
Wind den Schnee schon wieder heruntergeschüttelt.
Es war gerade der heilige Abend und dunkelte bereits.
Da begannen von den Kirchtürmen der Stadt die Glocken den Festtag
einzuläuten, eine nach der andern und dann alle zusammen, dass es lieblich
und erhebend klang und man, wenn man auch gar nicht wollte, an die gnadenreiche
Weihnacht denken musste und an das süße Christkind und wie wunderbar
der alte Segen alljährlich wieder neu werde. Leute aus den Dörfern
der Umgegend waren noch auf der Straße, sie hatten gearbeitet in der
Stadt drin, nun eilten sie, schneller als an andern Abenden, über den
knarrenden Schnee heimzu. Mancher davon trug noch etwas Eingewickeltes unterm
Arm, die Weihnachtsgeschenke für Weib und Kinder. Die meisten waren schon
vorbei, und aus der Dunkelheit tauchte hin und wieder, da und dort von einem
Bauernhofe oder aus einem der zerstreuten Häuslein, ein Licht auf wie ein
Sternlein.
Ganz zuletzt kam noch ein armes Weiblein, und das war die Frau Ursula, die in
der Stadt um Taglohn mit Fegen und Reinigen auf den morgenden Festtag hin
nachgeholfen hatte. Sie wohnte eine gute halbe Stunde weit weg in dem Dorfe und
hatte das lange Jahr hindurch den Weg nach der Stadt bei allem Wetter manch
liebes Mal gemessen, am frühen Morgen hin, am späten Abend wieder
zurück. Wie mühsam das war, sie fühlte sich darum nicht
unglücklich, im Gegenteil - nur um so vergnügter sah sie aus, wenn es
brav Bestellungen gab; verdiente doch, namentlich zur Winterzeit, ihr Mann mit
seiner Maurerarbeit gar wenig, während die drei Kinder im Winter wie im
Sommer gleichen Appetit hatten, ja die Kälte bei ihnen noch zu zehren
schien. - Um dieser Kinder willen, und damit die Haushaltung im ordentlichen
Gange bliebe und sie niemanden beschwerlich fallen müssten, scheute dann
Frau Ursula weder mühsame, raue Arbeit noch krumme Finger, wenn`s Stein
und Bein fror. -
Heute aber ging sie nicht froh, sie ließ den Kopf hängen. Wohl trug
sie einen hübschen, wohlverdienten Batzen im Sacke heim; sogar einen
lebkuchenen Reiter, ein paar Stücklein Gerstenzucker, einen Bogen mit
Bildern und einige kleine rote Äpfelchen hatte sie gekauft. Alles zur
Weihnachtsbescherung für ihre Kleinen. Aber Frau Ursula hatte einen
großen Fehler begangen: sie hatte zu lange jene Christbäume
angesehen, welche bei ihren reichen Kunden gerüstet wurden und die sich
beinahe beugten unter der Last von all dem bunten Zuckerzeug, den kostbaren
Spielwaren und der Menge sonstiger Herrlichkeiten, wie man sie nur zu ersinnen
vermochte.
Bis jetzt war die arme Frau mit ihrem Lose zufrieden gewesen. Als sie aber bei
den Reichen all den Reichtum an Gaben ausgebreitet sah und an die Freude denken
musste, welche damit den Stadtkindern gleichsam im Übermaße
gewährt wurde, da waren der Mutter natürlich auch die eigenen Kinder
eingefallen. Je länger sie nun aber auf die Pracht und die Fülle
hinsah, umso mehr verlor sie sich darin und legte unvermerkt den Maßstab
davon an jene Bescherung, die sie nach Hause trug, um sie ihren Kindern zu
schenken. Hätten die Schätze eines Königreiches vor ihr
ausgebreitet gelegen, sie würde nicht so missgestimmt, ja neidisch darauf
geworden sein, wie sie es hier war über diese Spielzeuge und die
Zuckerherrlichkeiten; denn nicht an sich dachte sie ja, sondern einzig an ihre
Kinder. Es tat ihr heimlich weh, dass sie zur Weihnacht mit so ärmlicher
Gabe, nur mit einem Lebkuchen, ein paar schlecht gemalten Bogen und
gewöhnlichen Äpfel sollten abgefunden werden, indessen eine Menge
Herrlichkeiten, die ihr Mareili, ihren Fritz und den kleinen Xaveri in den
Himmel versetzt hätten, hier in der Stadt unter der übrigen Masse gar
nicht einmal bemerkt würden. -
Mit dieser Verstimmung im mütterlichen Herzen und dem kleinen
Päcklein dürftiger Weihnachtsherrlichkeiten im Korbe schritt Frau
Ursula durch die Dämmerung ihrer ärmlichen Wohnung zu. Sie wurde fast
verstimmter, als ihre Kinder sich freudig um die Mutter drängten und den
Korb beguckten, weil sie wohl vermuteten, das heilige Weihnachtskindlein
könnte ihnen was darin zugeschickt haben. Ihn zu öffnen, wagte
freilich keines, und so blieb denn der bedeutsame Korb ruhig auf dem Schranke
stehen, wohin er gleich gestellt worden. Erst nach der Suppe, die nun gekocht
und gegessen wurde, und nachdem die Kinder in die Nebenkammer zu Bette
gegangen, schritt Frau Ursula daran, das magere, in einen alten Gartentopf
gepflanzte Tannenbäumlein mit den wenigen Gaben zu behängen: alles an
die äußeren Ästlein, damit es doch ein wenig etwas vorstelle.
Als jedes hing und die zwei neuen Taschentüchlein, die das Mareili noch
beschert bekam, um den Fuß des Baumes ziemlich breit hingelegt worden,
wurden zum Schluss noch etliche Kerzlein an die Zweige geklebt.
Während dieser Arbeit hatte sich das fast bittere Gefühl in ein mehr
wehmütiges und in ein Paar feuchte Augen aufgelöst; dann legte sich
die gute Frau zu Bette, müde an Leib und Seele, um Not und Sorgen zu
verschlafen.
Als Frau Ursula vor Mitternacht erwachte, leise aufstand und sich ankleidete
und die Kerzlein anzündete, da sah ihr Gesicht noch recht verzagt und
kleinmütig aus und blickte mehr traurig als heiter auf die Lichtlein,
welche die dürftige Bescherung recht sichtbar machten. Nur die Besorgnis,
die kurzen Lichtstümpflein möchten unnütz verbrennen,
überwand ein längeres Zögern und ließ sie rasch die
Kleinen wecken. - Mareili sprang als erste aus dem Bette, war es doch schon
eine Weile wach und hatte nur nicht dergleichen getan, sondern nur verstohlen
geblinzelt. Bald war aller Schlaf aus den Äuglein gerieben und helle
Freude dafür darin angezündet. - Wie schön waren doch die
Lichtlein in den grünen Zweigen! Wie appetitlich lachten die Äpfel
mit ihren roten Backen! Und dann der köstliche rote und weiße
Gerstenzucker, der an den Fäden dazwischen hing! Und vor allem das
Hauptstück, der große Lebkuchenreiter mit vergoldetem Hut. Und dies
alles vom lieben Christkindlein gebracht! -
Mareili konnte beinah den Blick nicht mehr wenden von den zwei rotgestreiften
Taschentüchlein und ward nicht wenig stolz darauf, dass es die nun selber
säumen solle. Fast wie die Äpfel so rote Bäcklein bekamen die
Kinder vor lauter Eifer und Lust an ihrer Bescherung, und in den bloßen
Hemdlein umherhüpfend, fragten sie die Mutter einmal ums andere, ob das
Christkind das alles hergebracht? oder machten Plan über Plan, was sie mit
jedem Stücklein besonders anfangen, wie sie es teilen wollten, und wer
zuerst abbeißen dürfe an dieser und jener Süßigkeit.
Frau Ursula, die anfangs etwas kleinlaut daneben gestanden und sich zur
Heiterkeit gezwungen, um die der andern nicht zu verderben, sah sich bald in
die allgemeine Freude hineingezogen, sie dachte des armen Gottessohnes im
Stalle zu Bethlehem, sie wusste nicht wie? Der große Christbaum in der
Stadt mit seiner kostbaren Bescherung war ihr ganz aus dem Sinne gekommen, sie
lachte innerlich vergnügt, und ihre Blicke glänzten nicht anders als
die der Kleinen auch. Als sähe Ursula mit den Augen der Kinder, so gefiel
ihr nun selbst ihr Bäumlein, das sie doch erst so betrübt angeschaut
und woran noch dieselben gewöhnlichen Äpfel, die paar
Zuckerstücklein und der einzige Lebkuchen hingen. Aber in dem heimlichen
Schatten der grünen Ästlein schienen noch verborgene Herrlichkeiten
zu ruhen, aus den zitternden Flämmchen der Kerzen etwas Besonderes und
Feierliches zu strahlen, das einen eigenen Schimmer über alles andere
ausgoss und es gleichsam verklärte; es war wie das Leuchten des Himmels
über dem Stalle zu Bethlehem in der ersten Christnacht.
Dieses drang auch in das Herz der Mutter, und in ihrer unverhohlenen Freude
daran nahm sie mit ganzer Seele teil an all dem kindischen Gerede und auch an
der kindlichen Glückseligkeit. sie sagte sich's freilich nicht und wusste
es selbst nicht einmal klar; aber was sie inwendig verspürte und was auch
ihr Herz erheiterte und durchwärmte und sie selbst wieder zum Kinde werden
ließ, das war doch nur das Gefühl, dass die Freude und der Segen der
Weihnachtsbescherung nicht von kostbarer Herrlichkeit und vielen Geschenken
abhänge, sondern auch vom dürftigsten Christbäumchen unsichtbar
als Hauptbescherung leuchtet, die heilige Zufriedenheit und das köstliche
Bewusstsein: "Auch uns ist der Heiland geboren!"
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