Guido Hammer
Weihnachten im Walde
Eine Jugenderinnerung
Langer trockener Dezemberfrost, den der dabei eisig stürmende Nord um so
empfindlicher werden ließ, war vorhergegangen, bis endlich mildes Wetter
folgte, welches sich bald zu ausdauerndem Schneefall anließ, so dass mit
dem Hereinbrechen des Weihnachtstages der weite Wald in wunderbarer Pracht
seines neuen Schmuckes prangte, besonders da sich vorher, etwas gegen
Mitternacht, der Himmel völlig geklärt und so die unverhüllt
aufgehende Sonne die Heide mit wundersamem Farbenschmelz übergoss. Purpurn
angehaucht leuchteten da zuerst die schneebedeckten Fichten- und Tannenwipfel
in rosigem Lichte, während weiter herab die frisch gefallene Last auf dem
niedergedrückten Gezweig der sonst ungebeugt gen Himmel starrenden
Baumwelt noch im Halbschatten lag; tiefer aber, unter dem beschneiten
Nadeldache, herrschte noch grauendes Dämmern, dass trotz der überall
ausgebreiteten lichten Decke das spähende Auge doch nur auf wenige
Schritte in das verschwimmende Düster des Waldes eindringen konnte. Aber
bald huschte das vergoldende Licht an den hohen Waldwänden und einzelnen
Bäumen hernieder, bis es den Boden erreichte und nun in flirrenden Punkten
und langen Streifen eindrang in die Tiefen der geschlossenen Holzbestände,
darinnen gleichsam vom Boden aus wieder an Stämmen hinanklimmend, dabei
sich halb verlierend, um gleich darauf wieder von Neuem hell aufzuglänzen
- fortwährend wechselnd, in nimmer rastender zauberischer Beweglichkeit.
Wo aber der Lichtstrom ungehindert über weite Flächen hinflutete und
deren gleichförmig darüber ausgebreiteten Teppich in seiner
makellosen Reinheit grell beleuchtete, da ward das Auge um so mehr geblendet,
als es hier mit angestrengter Sehkraft etwaiges Gefährt zu erspähen
trachtete und solches wohl auch hier und da von den nach Aufhören des
Schneefalls noch umhergezogene Wildgattungen gewahrte. Sonst aber, so weit die
Blicke reichten, kein Tritt eines menschlichen Fußes, als der, welchen
ich, der einsame Waldläufer, lautlos in das sonst noch so unberührte
Edelweiß gefurcht. Aber vorwärts trieb es mich mit unwiderstehlicher
Gewalt auf der pfadlosen Wanderung, hingerissen von immer neu auftauchenden
Reizen, welche die mit phantastischen Formen umkleideten Bäume,
Sträucher, Ranken und Gräser, wie der bestrickende Zauber von
Farbenfrische in Wald und Luft mit jedem weiteren Schritte dem Auge boten.
Wie nun schon diese Herrlichkeit das Herz mit tiefster Wonne erfüllte, so
steigerte sich der Hochgenuss für mich noch bedeutend durch das Erscheinen
der lebendigen Tierwelt, welche bald die stille Einsamkeit belebte.
Zuerst waren es der Krähen zahlreiche Züge, welche aus ihren Horst -
und Schlafstätten kommend den weiten Wald überflogen, um Feld und
Dorf und Stadt heimzusuchen, dort unter dem tiefen Schnee ihr kärgliches
Mahl zu finden. Schweren Fluges und tristen Gekrächzes durchstrichen die
geflügelten schwarzen Gesellen die eisige Luft in lang gedehnter
Reihenfolge - wie Leidtragende hinter einem Leichenzug - und regten durch den
Kontrast ihrer Erscheinung zur sonnig verklärten schneeprächtigen
Natur das Menschengemüt unwillkürlich zu ernster Stimmung an. Um so
mehr aber ward darnach das Herz erquickt, als die fröhlich zwitschernden
und lustig pinkenden Stimmchen der Goldhähnchen und Meisen durch den sonst
so tief schweigenden Wald an das Ohr schlugen; begierig suchte mein Auge nach
den rastlosen niedlichen Urhebern, welche in den schneebehangenen Zweigen
schwirrend hin und her huschten und bald hier, bald da, oben und unten in das
Geäst sich einhingen, um Insekteneierchen und Larven zu suchen. Flogen die
Leichtbeschwingten wieder davon, dann schnellten die kleinen Zweige den Schnee
federgleich empor, andere Schneelagen wehten mit herab und im Nu war die Luft
mit Tausenden sonnendurchschienener Kristalle erfüllt und ein
entzückendes Glitzern und Flimmern durchglänzte das Dunkel des
Waldes. So setzte ich meine Wanderung fort, bisweilen Wege überschreitend,
die etwa zu einem Heidedorfe führten, oder den plumpen Fußspuren der
Waldarbeiter begegnend, die in den Holzschlägen noch vollauf Arbeit fanden
und deren eintönige Axtschläge den Forst durchhallten. Bald kam ich
auch an einer solchen Blöße vorbei, wo die wackeren Leute schon
fleißig ihrer schweren Arbeit oblagen, während hinter der haushohen
Wurzelwand einer vom Sturme niedergeworfenen Riesenfichte ihr hell flackerndes
Feuerchen brannte, dem die knisternden Funken lustig entstiegen, indes der
blaue Rauch die umliegenden mächtigen Waldwände in hoher duftiger
Säule überstieg. Von hier aus führte mich mein Weg hinab in ein
erlenbestandenes Tal, wo das wilde, über die Kiesel seines Bettes noch
ungefesselt rauschende Wasser in schäumender Flut die schneeigen und an
ihren Säumen beeisten Ufer netzte. Später betrat ich wieder die
Heerstraße; aus den einsam zur Seite gelegenen Heidedörfern klang
der anheimelnde Dreiklang der Dreschflegel; aber weit ab von ihnen, tief im
Forste einer meilenweit eingehegten Wildbahn, lag mein Ziel: eine jeglicher
menschlichen Wohnung fern stehende Försterei.
Hier endlich angekommen ward ich auf's Herzlichste willkommen geheißen,
und die Kinder, mit denen das Haus vollauf gesegnet war, umsprangen mich
fröhlichen Mutes; war ja doch heute das liebe Weihnachtsfest und die
Kleinen, Knaben wie Mädchen, die mir herzlich zugetan waren, ahnten wohl,
dass ihr Gast an einem solchen Tage nicht leer gekommen sein würde. So
verbrachte ich denn den Nachmittag im traulichen, echt waidmännisch
geschmückten Stübchen der Försterwohnung, hier und da helfende
Hand mit anlegend, wo der Förster für seine Buben noch für den
Abend zu schnitzen oder zu leimen hatte. So war der Abend bald herbeigekommen
und nun ließen sich die gütigen Försterleute nicht länger
bitten, und es ward die harzduftige, frisch glänzende Tanne, bereits
geschmückt mit buntem Flitter und vergoldeten und silberbetupften
rotwangigen Äpfeln und klappernden Nüssen, hereingebracht. Darunter
aber wurden auf schneeweißem Tischtuch die Geschenke für die im
Nebenstübchen jubelnden Wildfänge ausgebreitet, dann noch hurtig die
Lichter des Baumes entzündet, worauf der Signalruf auf des Vaters
Flügelhorn ertönte, der die jauchzenden, sich drängenden
Geschwister im Nu zur Tür hereintosen ließ. Da gab's denn ein Freuen
und Seligsein der staunenden Kleinen. Hier ward der niedliche, so naturgetreue
Wildschuppen mit seinen daneben aufgestellten Tieren bewundert, dort die
kleinen Flinten und Jagdtaschen gemustert; von den Mädchen aber mit
gleicher Wonne die Puppen, Wägelchen, Kochgeschirre u.s.w in's Auge
gefasst. Aber auch Höschen und Schürzchen, Strümpfe und Schuhe
fanden vollsten Beifall, der sich natürlich auch ganz besonders auf die
rosinenreichen Stollen und das andere Naschwerk erstreckte.
Draußen aber ward der Mond aufgegangen und beleuchtete die
Winterlandschaft mit erst noch bleichem Schein, der von dem
lichtglänzenden Stübchen aus fast gespenstig erschien, bis er in
hellstrahlender Pracht den grabesstillen Wald überstrahlte. Da rief
plötzlich das älteste Mädchen freudig: "Die Hirsche, die
Hirsche kommen!" Und schnell das Schürzchen voll Äpfel nehmend,
öffnete es das Fenster, sie ihren Lieblingen zum Leckerbissen auf die
äußere Brüstung desselben und die darunter stehende Gartenbank
zu legen. Mich aber hatte der Ruf nicht wenig erregt, neugierig spähte ich
hinaus und wirklich erblickte auch ich nun die Verkündeten: zwei geweihte
stattliche Edelhirsche nebst einem dergleichen Spießer, die von Weitem
vertraulich an die Försterei herangezogen kamen, beim Fensteröffnen
aber doch verschüchtert ein paar Schritte zurückwichen. Doch nicht
lange dauerte es, so kamen sie wieder näher, aber dabei immer erst wieder
einmal Halt machend und sichernd, was jedoch, wie mir der Förster
versicherte, von ihnen heute nur ausnahmsweise in so zögernder Art
geschah, wahrscheinlich weil sie den ungewohnten Lichtglanz des
Weihnachtsbaumes scheuten. Endlich, nach ziemlich langem Besinnen, kamen die
Forschenden vorsichtig genug, langte der eine von den Hirschen, der, welcher
nur sechs Enden auf dem Schädel trug, sofort zu, die schmackhaften
Christäpfel sich trefflich munden lassend. Der Spießer hingegen wie
der stolze Zwölfender (denn ein solcher war der dritte Mitgekommene)
zögerte misstrauisch noch lange, ehe sie sich entschlossen, die
verlockenden Früchte zu berühren. Ich aber schlich mich nun auf des
Förster Rat zum Hinterpförtchen hinaus, den seltenen Anblick mit
allen seinen Reizen unmittelbar im Freien zu genießen, was mir auch, da
ich natürlich gegen den Wind mich stellte, die Hirsche aber überhaupt
den Verkehr am Hause gewöhnt waren, im vollsten Maße gelang.
So stand ich dann draußen in monderhellter Waldesnacht, vor mir das
malerische fichtenumschlossen Jägerhaus mit den alten Linden, hinter deren
einem Stamme hervor der Spießer neugierig nach dem lichtschimmernden
kleinen Fensterchen der trauten Waidmannswohnung, welche so herzige Kinderlust
in sich barg, äugte. Die beiden starken Hirsche aber, die sich seit Langem
schon gewöhnt hatten, allabendlich von der nahen Wildfütterung
herüber an die Wohnstätte ihres freundlichen Hüters zu kommen,
wo ihnen durch dessen Kinder jedes Mal noch ein Mund voll Körner,
Kastanien, Möhren oder Obst geboten wurde, ließen sich auch heute
statt der gewöhnlichen Holzäpfel die süßere Christkost der
kleinen Geber wohl schmecken, dabei aber mit nicht weniger Verwunderung, als
ihr jungendlicher Kumpan, die außergewöhnliche Helle im heimischen
Raume betrachtend.
Mir aber ward durch diese Szene eine seltene und unübertroffene
Weihnachtsfreude bereitet, und nicht satt schauen konnte ich mich an dem so
eigentümlich fesselnden, herrlichen Bilde. Schier zauberhaft waren die
hochgeweihten Häupter der Hirsche von dem goldenen Glanz der
Weihnachtslichter angestrahlt, dass die prunkenden Enden ihrer Kopfzier bei
jeder Bewegung hell aufblitzten, während die dem Lichtstrom sonst
abgewandten Gestalten bläulich glänzende Mondhelle umspielte. Dazu
die Stille der geisterhafte durchhellten Waldesnacht, die nur zuweilen durch
das laute Aufjubeln der Kinder drinnen im schmucken Stübchen unterbrochen
wurde, während der mondbestrahlte Quell den ausgehöhlten Baumstamm im
Gehöfte des Försters unter leisem Plätschern geschäftig
füllte.
Lange, lange gab ich mich den bestrickenden eindrücken hin; dann aber
rasch, fast wehmütig von der glücklichen Familie Abschied nehmend,
trat ich den weiten einsamen Heimweg an, der mich erst in weit vorgeschrittener
Nacht meiner stillen Behausung zuführte.
|
|
Weihnachten im
deutschen Hause
Gustav Freytag
Bärbels
Weihnachten
Ottilie Wildermuth
Weihnachten im Walde
Guido Hammer
Weihnachtszauber
Agnes Günther
Der heilige Abend
Friedrich Naumannn
Weihnachten bei
Theodor Storm
Gertrud Storm
Friede auf Erden
Adolf Schmitthenner
Eine Weihnachtsreise ins
altpreußische Land
Bogumil Goltz
Weihnachten im
Maschinenhaus
Heinrich Lersch
Weihnachten
Adalbert Stifter
Die Roratemesse
Franz Anton Staudenmaier
Bethlehem
Alban Stolz
Das erste Gebet
Christi nach der Geburt
Martin von Kochem
Die drei Opfergaben
Alban Stolz
Die
Weihnachtskrippe daheim
Christoph von Schmid
Die erste
Reise des Jesuskindes
Martin von Kochem
Frau Ursulas
Bescherung
Theodor Meyer-Merian
Durch Nebel zur
Klarheit
Dora Schlatter
Eine
Weihnachtsgeschichte
Dora Schlatter
Gelobet seist
du, Jesus Christ
Dora Schlatter
Nun freut euch, lieben
Christen g'mein
Dora Schlatter
Weihnachten an der
Linie
Dora Schlatter
Wer hat die
größte Freude?
Dora Schlatter
Bergkristall
Adalbert Stifter
Eine
Weihnachtsbescherung
Wilhelm Jensen
Der Weihnachtsabend
Christoph von Schmid
|